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Agile Organisationen und Großkonzerne

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Agile Organisationen und Großkonzerne

David gegen Goliath

Dr. Stefan Barth

Das Umfeld ändert sich. Mitbewerber senken durch den intelligenten Einsatz neuer IT-Systeme erfolgreich ihre Kosten. Das Management fürchtet disruptive Ansätze, die das eigene Geschäftsmodell bedrohen und deren Umsetzung durch andere droht. Nun muss gehandelt werden: Das Unternehmen entwickelt eine Digitalisierungsstrategie. Doch wie wird die Strategie umgesetzt? Diese Entscheidung reduziert sich gerade bei wenig IT-affinen Unternehmen auf eine klassische Make-or-Buy-Entscheidung… allerdings mit einer besonderen Herausforderung: Das, was hier geschaffen werden soll, muss in Zukunft maßgeblich zur Wertschöpfung beitragen und so flexibel sein, dass schnellen Marktveränderungen zügig gefolgt werden kann. Unternehmen wollen etwas „Neues“ mit einer großen strategischen Bedeutung schaffen und das trotzdem noch fachlich und technologisch beherrschen. Um diesen Aspekten gerecht zu werden, fällt die Entscheidung häufig auf „Make“.

NEUES SCHAFFEN

Unternehmen ohne Erfahrung in der Erstellung von Software-Produkten sind so häufig gezwungen, eine neue Organisation aufzubauen. Eine Weiterentwicklung bestehender IT-Strukturen schließt sich in der Regel aus: Das methodische und technische Knowhow der IT-Organisation, deren bisheriger Fokus die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des Legacy-ITBetriebs war, ist hierfür nach Befinden aller – häufig auch der betroffenen Abteilungen selbst – nicht hinreichend. Meist besteht der nächste Schritt darin, eine digitale Tochterfirma zu gründen. Deren neue Struktur soll modern und nachhaltig sein. Ein reichhaltiges, externes Beratungsangebot hilft den Unternehmen dabei, ihr Zielbild zu entwickeln. Das Ergebnis ist in der Regel die Empfehlung zum Aufbau eines von der Hauptorganisation entkoppelten IT-Zweigs mit einer lupenrein agilen Ausrichtung. Erstere Entscheidung folgt der plausiblen Argumentation, dass die Loslösung von Konzernrestriktionen die Flexibilität der neuen Organisation erhöht.

HEILSBRINGER AGILITÄT

Aber wie kommt es zu der Überzeugung, dass die Organisation agil sein soll? Die bis zu diesem Zeitpunkt handelnden Entscheider haben häufig noch keinerlei Berührungspunkte mit agilen Organisationen gehabt. Die Entscheidung fällt dennoch in diese Richtung,

  • weil das Beratungsumfeld dies forciert,
  • weil die großen, internationalen Vorbilder agil arbeiten,
  • weil die bereits geworbenen Köpfe der neuen Tochtergesellschaft aus eigener Erfahrung den agilen Ansatz favorisieren,
  • weil es gerade en vogue ist
  • oder weil das Management in Selbstbeschäftigung mit dem Thema sich ein oberflächliches Bild erschloss: Agilität erhöht Time-to-Market, ermöglicht Flexibilität und erlaubt, günstiger Software erstellen zu können. Mögliche Nebeneffekte der Methode bleiben im Hintergrund.

DIE ERNÜCHTERUNG KOMMT SCHNELL

So startet die neue Innovationstochter losgelöst vom Konzern im agilen Gewand. Je nach Führung der ersten Stunde besteht die Chance, dass sich eine agile Unternehmenskultur
ausprägt. Eigeninitiative, Verantwortungsteilung, Fehlertoleranz und flache Hierarchien bestimmen das Miteinander. Der Ergebnisdruck ist von Anfang an erheblich, ihm wird mit hoher Motivation und ohne Schönfärberei begegnet. Der Konzern empfindet dies anfangs als exotisch charmant – mit der Zeit aber als zunehmend unprofessionell. So lässt der Konzern seine neue Tochter agieren, bis ein Punkt erreicht wird, an dem die Zusammenarbeit an den Schnittstellen beginnt zu brechen. Hierfür gibt es ein Spektrum an
möglichen Gründen, die im Kern immer auf ähnliche Probleme hinauslaufen: Die konzernseitige Erwartungshaltung – gespeist durch langfristige Ziele – wird im Hinblick auf die Umsatzentwicklung, neue Features oder Kundenzahlen enttäuscht. An der Entwicklung der Zielvorgaben war das agile Management der Tochter nicht selten unbeteiligt.

DIE DAUMENSCHRAUBEN WERDEN ANGEZOGEN

Ist dieser Punkt erreicht, so gerät die agile Organisation in Gefahr. Der Konzern verliert das Vertrauen und etabliert durch äußeren Zwang methodisch fremde Controlling Mechanismen. Es werden langfristige fachliche Commitments eingefordert, Release-Pläne eingeführt und deren Einhaltung peinlichst überwacht. Dies geschieht maßgeblich aus dem in der klassischen Geschäftswelt tief verankerten Wunsch eines langfristigen Plans, der dem Manager bei einer aktuell nicht befriedigenden Geschäftsentwicklung ein Gefühl der Sicherheit suggeriert, dass am Ende alles zum Erfolg kommt. Diese „Planwirtschaft“ ist tatsächlich aber der Sargnagel für den Erfolg. Agile Methoden dienen dazu, Kreativität und Flexibilität in der Produktentwicklung zu vereinen, um in einem sich schnell veränderndem Umfeld die Bedürfnisse der Kunden dauerhaft zu befriedigen. Der Weg dahin ist nicht linear, sondern gespickt von Fehlentscheidungen. Die den agilen Methoden inhärente Flexibilität erlaubt die Kostenkontrolle darüber, indem sie die Möglichkeiten bieten, einmal identifizierte Fehlentwicklungen auch unmittelbar zu beenden und – mit viel Kreativität und hoher Geschwindigkeit – eine Neuausrichtung vorzunehmen.

DAVID GEGEN GOLIATH – UND GOLIATH GEWINNT

Dies weiß das agile Management der neuen IT-Organisation natürlich sehr genau und man sollte erwarten, dass es sich gegen den methodischen Strategiewandel massiv wehrt. Der Versuch wird auch fraglos unternommen, der Kampf geht aber meistens verloren. Woran liegt das? Agile Organisationen verfügen in der Auseinandersetzung mit klassischen
Konzernstrukturen über keine Abwehrmechanismen. Tritt der agile Manager in den Konflikt mit seinen Ansprechpartnern auf der Konzernseite – als Vertreter einer untergeordneten
Tochtergesellschaft – so steht ihm nicht die Wahl der Waffen zu. Die Waffen sind diejenigen, die die Kultur des Konzerns vorschreibt. Dies hat zur Folge, dass der agile
Manager bei Anwendung der in seiner Organisation üblichen Konfliktlösungsansätze grandios scheitert. Die Fehler, die er in der Eskalationssituation begeht, sind vielfältig:

  • Der agile Manager geht von einer Zielkongruenz aus. Dies ist aber mitnichten so: Die
    monetären Steuerungsmechanismen und wettbewerbsorientierten Aufstiegspfade
    im Konzernumfeld prägen auf den mittleren und höheren Managementebenen häufig Charaktere aus, deren persönliche Weiterentwicklung im Konzernhabitat wichtiger ist als das Unternehmenswohl selbst. Dies heißt nicht, dass ein bewusster Wille bestünde, Schaden zu erzeugen. Aber sollte der Erfolg der agilen Organisation die Position oder den persönlichen Karrierepfad des Konzernmanagers gefährden, so wird er sich gegen die agile Organisation aufstellen.
  • Der agile Manager kennt keine Pfründe. Dies ist dem Konzernmanager fremd: Er ist gewohnt, seine Pfründe gegen Einflussnahme zu schützen und wird immer eine klare Grenzziehung von Verantwortungsbereichen – zum Schaden des agilen Managers – betreiben.
  • Bei der Bewältigung der Eskalation wird der agile Manager mit Transparenz, offener Selbstreflektion und Fehlertoleranz auftreten. Dies ist eine Steilvorlage für den Konzernvertreter: Fehler seinerseits wird er niemals einräumen, sondern sie kaschieren und die Schuld an Dritte verteilen.
  • Es besteht kein Teamzusammenhalt zwischen dem agilen Manager und dem
    Konzernkollegen. Einvernehmlichkeit in Entscheidungen endet da, wo die Entscheidungen sich als falsch erweisen: Dann wird der Konzernmanager sich als sehr geübt darin erweisen, die Hauptverantwortung für die Fehlentscheidung seinem agilen Kollegen anzulasten. Auch wenn hier eine andere Anmutung aufkommen mag: Der Konzernkollege ist kein Bösewicht. Er bewegt sich schlicht nach den Spielregeln des
    Kulturkreises, in dem er sozialisiert wurde. Und diese Spielregeln weichen fundamental von denen einer agilen Organisation ab.

LIEBER ABSCHOTTEN ALS KRIEG FÜHREN

Die Lösung für den agilen Manager besteht nicht darin, mittels eines Kulturkampfes den Konzern zu „agilisieren“. Berater der agilen Szene stellen fest, dass das Management eines Unternehmens Agilität in allen Konsequenzen verstanden haben muss und idealerweise auch leben sollte, damit diese sich wirklich entfalten kann. Diese Idealvoraussetzungen sind jedoch in der Regel nicht gegeben. Der Versuch, die aus Konzernsicht klare Sachdiskussion darum, warum Ziele hinsichtlich Zeit, Budget und Fachlichkeit verfehlt werden, auf einer kulturell-methodischen Ebene zu führen, behaftet den agilen Manager nur mit dem Ruf eines wenig zielorientierten, esoterischen Spinners. Seine Demontage wird beschleunigt und der agilen Organisation in der Notlage nicht geholfen. Wie gelingt es also der agilen Organisation, sich selbst zu schützen? Paradoxerweise nur dadurch, dass das agile Management die Bereitschaft mit sich bringt, an den Schnittstellen zum Konzern ihre eigenen Ideale zu verraten. Es ist erforderlich, sich in der Auseinandersetzung mit dem
Konzern kulturell an die Gegenspieler anzupassen und wenn nötig ihre Mittel zu adaptieren und gegen sie zu richten. Dies setzt eine moralische Kaltblütigkeit voraus, wie sie auch immer wieder in politischen Kontexten gefragt ist: Inwieweit folge ich meinen eigenen Grundsätzen, wenn ich gefordert bin, das System, an das ich glaube, zu verteidigen?

SAND IM MECHANISMUS DES SCHEITERNS

Dieser Anforderung an das agile Management zu genügen, ist wahnsinnig schwer. Menschen, die Agilität mit der Muttermilch aufgesogen haben, sind tendenziell ungeeignet. Ihnen fällt nicht nur die moralische, schizophrene Positionierung schwer – es fehlt auch häufig die nötige Erfahrung im Umgang mit ihren kulturell fremden Gegenspielern. Besser geeignet erscheinen Menschen, die aus einem klassischen Konzernumfeld kommen und die Klaviatur der konzernpolitischen Auseinandersetzung beherrschen. Gleichzeitig müssen sie
sich aber auch von Herzen der agilen Kultur der eigenen Organisation verpflichtet fühlen.
Mit der Etablierung von solchen, wehrhaften Charakteren an den Schnittstellen zu nicht -agilen Organisationsbestandteilen gelingt es dann auch, dem Scheitern agiler Substrukturen in Konzernorganisationen etwas von seiner Vorbestimmtheit zu nehmen.

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