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Agilität ist Kopfsache: Der Einfluss des limbischen Systems auf das agile Arbeiten

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Autor: Timm Eichstädt

Was macht Agilität aus und wie gelingt sie? Diese Frage stellen sich Software-Entwickler, Manager, agile Transformatoren und viele weitere betroffene Personen in IT und in anderen Unternehmensbereichen. Natürlich gibt es nicht die eine richtige Antwort.

In der Regel hält man sich an bewährte Vorgehensmodelle wie SCRUM oder Kanban bis hin zu Rahmenwerken für das gesamte Unternehmen wie SAFe oder LeSS. Klein beginnen, dann stetig ausweiten und kontinuierlich verbessern, ist sicherlich ein guter Tipp. Auch der Fokus auf agile Werte ist wichtig und wird daher immer wieder angemahnt. Es scheint mir jedoch, dass ein Aspekt der Agilität in der Diskussion immer noch vernachlässigt wird:

Das menschliche Gehirn. Daher möchte ich hier einen neuen Blickwinkel für Agilität aufzeigen. Die folgenden Gedanken kamen mir zum großen Teil während des Lesens des Buches „Limbi. Der Weg zum Glück führt durchs Gehirn“ von Werner Tiki Küstenmacher [1] oder wurden sinngemäß direkt daraus entnommen. Es geht in dem Buch um das limbische System – einen früh-evolutionären, aber sehr wesentlichen Bestandteil unseres Gehirns, das im Buch den Namen „Limbi“ bekommt. Es wird – weil das limbische System auch als „kleines Säugetierhirn“ bezeichnet wird – als ein kleines Tier dargestellt. Es ist für alle Emotionen zuständig, aber auch für Entscheidungen, die Verarbeitung von Informationen und für das Leiten unserer Konzentration.

AUCH ENTWICKLER HABEN GEFÜHLE

Kennen Sie das erhebende Gefühl, eine wichtige Aufgabe abzuschließen? Zum Beispiel in Form eines CodeCommit. Sie drücken Enter, die Tests laufen durch, die Pipeline zeigt grün, das System wird aktualisiert und die neue Funktionalität ist live. Unweigerlich spielt ein Lächeln um ihre Mundwinkel, Zufriedenheit macht sich breit. Das ist Limbi. Oder Sie arbeiten schon eine Weile an einem Problem. Immer wieder tritt derselbe Fehler auf. Am
liebsten würden Sie den Bildschirm packen und an die Wand werfen. Blut schießt in den Kopf, der Hals schwillt an. Auch hier zeigt sich Limbi. Das sind zwei Beispiele an denen wir das limbische System (körperlich) wahrnehmen können. Es ist mehr oder minder dauerhaft aktiv oder zumindest in Alarmbereitschaft. Wir sollten seinen Einfluss nicht unterschätzen!
Durch Nervenverbindungen und Botenstoffe nimmt es direkt und indirekt Einfluss auf unser Großhirn – das im Gegensatz zum limbischen System sozusagen den Speicher und das Rechenzentrum unseres Gehirns darstellt – und auch auf den Rest unseres Körpers. Es geht also nicht nur darum, dass wir naturgemäß mal etwas mehr und mal etwas weniger zufrieden sind. Unsere Arbeit hat massiven Einfluss auf Limbi – und umgekehrt! Wir sind viel motivierter und konzentrierter bei einer Sache, wenn Limbi von deren Bedeutung überzeugt ist. Umgekehrt ist unsere Produktivität geschmälert, wenn Limbi etwas nicht gefällt. Sei es eine ungeliebte Technologie, ein Kollege den wir nicht riechen können oder eine Meldung über die Ausbreitung eines gefährlichen Virus. Wir neigen dazu, unseren aktiven Willen und unser rationales Urteilsvermögen drastisch zu überschätzen. Es gibt zahlreiche Studien dazu, wie abhängig unsere Entscheidungen von Gefühlen und äußeren Einflüssen sind (man denke nur an die Werbepsychologie).

WASSERFALL-MODELL VERLEUGNET LIMBI

Werden Projekte nach dem Wasserfall-Modell bearbeitet, sind Emotionen eher hinderlich. Anforderungserhebung und Zeitplanung geschehen vorab und unter rein rationalen Gesichtspunkten. Dann erfolgt die Abarbeitung bis hin zur sachlichen Dokumentation und Übergabe. Wenn es gut läuft, gibt es eine motivierende Rede zum Kick-Off und beim Abschluss ein kräftiges Händeschütteln. Aber wie sieht es in der Zeit dazwischen aus?
Fehleinschätzungen und unvorhergesehene Änderungen gibt es in jedem Projekt. Das belastet Limbi. Blockaden sind noch schlimmer. Zu Beginn sind die Meilensteine so weit weg, dass wir keine Notiz von ihnen nehmen. Rücken sie näher, empfinden wir Stress. Im weiteren Verlauf werden Zieltermine häufig nicht eingehalten – das führt zu Schuldgefühlen. Eine Neuplanung wäre zu aufwändig und wiederum mit Unsicherheiten verbunden. Daher wird sie erst nach einiger Zeit oder überhaupt nicht gemacht. Man bewegt sich also außerhalb der Planung. Für Limbi ein scheußlicher Zustand der Unsicherheit. Wir werden unglücklich und dadurch auch weniger produktiv. Die beschriebenen Probleme sind nicht übertrieben. Gerade in der IT fällt es schwer, Anforderungen vorab zu erheben. Fortschritt wird von alleine nicht sichtbar und Nutzen stellt sich überhaupt erst spät ein. Es gibt also kaum positive Reize für Limbi. Dazu kommt, dass wir viel stärker auf negative als auf positive Emotionen gepolt sind. Evolutionstechnisch ist das nachvollziehbar. Schließlich war es über Millionen von Jahren Hauptaufgabe des limbischen Systems, auf Gefahren zu reagieren: Angst vor einem bedrohlichen Tier, Ekel vor einer verdorbenen Speise, Ablehnung wegen einer potentiellen Gefahr, etc.

AGILES ARBEITEN GEMEINSAM MIT LIMBI

Bei SCRUM steht die Produktvision im Fokus. Für Limbi der perfekte Anreiz, sein Bestes zu geben. Der Product Owner ist diesem Produkt verpflichtet und trägt dafür Sorge, dass die
Ergebnisse und damit auch die Motivation stets im Vordergrund bleiben. Um dieses Ziel herum organisiert der SCRUM Master die Abläufe. Drastisch ausgedrückt, kümmert er sich allein um das Wohlbefinden der Limbis im Team. Diese synchronisieren sich täglich in den Daily Stand-ups. So werden Erfolge schnell kommuniziert und auch Blockaden werden sehr schnell offensichtlich. Das kann manchmal unangenehm sein. In den allermeisten
Fällen ist das aber besser, als die Probleme zu verschleppen. Die gesamte
Organisation des Teams wird in den Retro-Meetings kontinuierlich verbessert. Das ist Limbi-Zeit pur. Spätestens hier bekommen wiederkehrende Probleme ihren Raum. Der SCRUM Master moderiert diese Termine. Nicht zufällig gehören zu der agilen Methodologie feste Abläufe, wie zum Beispiel das tägliche Treffen vor einem Board. Das gibt Sicherheit. Durch den körperlichen und räumlichen Aspekt solcher Rituale wird Limbi zusätzlich aktiviert. Die Planung erfolgt im Team und nur auf einen überschaubaren Zeithorizont hinweg. Wann immer möglich, dürfen die Teammitglieder selbst entscheiden, wer welche Aufgabe übernimmt. Perfekt für Limbi. In Review Meetings werden dann die Ergebnisse präsentiert. Es scheint fast, als wäre diese Organisationsform alleine mit dem Ziel entworfen Limbi glücklich zu machen.

TIPPS UND TRICKS

Ich denke, diese Überlegung ist gar nicht so weit hergeholt. Wer möchte nicht gerne zufriedener sein, wenn dadurch gleichzeitig die Leistungsfähigkeit steigt? Was können wir also tun, um Limbi in und mithilfe der agilen Arbeitsweisen zu berücksichtigen? Im Folgenden eine Reihe von Tipps:

  • Visionen: Erarbeitung eines gemeinsamen, inhaltlich starken Vision-Statement, das auch physisch – z.B. auf einem Plakat o.ä. – dargestellt wird.
  • Erfolge: Aufteilung der Arbeit in kleine Tasks und Definition von Akzeptanzkriterien. Der Anreiz und auch die Befriedigung sind umso größer, wenn diese beim Erreichen tatsächlich abgehakt werden können.
  • Keine technischen Schulden: Clean Coding, Testbarkeit, Automatisierung, etc. sind ein Muss. Tagelanges Debugging und stundenlanges Lesen von Code für eine winzige Änderung sind demotivierend.
  • Aussprachen: Gefühlsäußerungen wie ein argwöhnischer Blick oder ein Naserümpfen deuten meist auf eine nötige Aussprache hin. Dann können gerade auch negative Gefühle eine konstruktive Wirkung haben. Vielleicht stellt sich heraus, dass etwas übersehen wurde oder die Prioritäten anders gesetzt werden müssen. Gut, dass Agilität
    viel Wert auf Kommunikation und Transparenz legt und frühzeitiges (!) Feedback sichergestellt ist. Es hilft, wenn man sich darüber hinaus bewusst ist, dass womöglich
    Limbi seine Finger im Spiel hat. Man sollte bei anderen nachfragen, aber auch sich
    selbst hinterfragen und Gefühle möglichst in Worte fassen. Die Kunst besteht darin, offen und ehrlich zu kommunizieren, dabei aber nicht zu sehr ins Negative zu verfallen. Hier ist ein guter Moderator gefragt.
  • Vertrauen: Im agilen Umfeld ist es üblich, keine langfristig festgelegten Verantwortlichkeiten zu haben. Das kann wie ein Kontrollverlust und damit sehr bedrohlich wirken. Damit die Arbeitsteilung im Team funktioniert, ist es daher unerlässlich, Vertrauen zu schaffen.
  • Lob: Ganz allgemein sollte man im Team nicht mit der Äußerung von positiven Gefühlen sparen. Das gilt insbesondere für den Product Owner.
  • Struktur: Das limbische System ist auf das Hier und Jetzt konzentriert. Das liegt an
    seiner Funktion als Alarmsystem, dass die Umwelt nonstop nach Gefahren und Chancen abtastet. Deshalb sollten

    • Meetings gut strukturiert sein,
    • Sprints nicht zu lange dauern,
    • Aufgaben und Zuständigkeiten klar zugeordnet werden,
    • Ablenkungen weitgehend abgeschaltet
      werden,
    • Tasks abgeschlossen werden.
  • Regeln: Regeln sind wichtig und schaffen Sicherheit, Verbote stoßen aber auf Trotz und
    Widerstand. Daher sollten Regeln immer positiv und verständnisvoll formuliert werden.
  • Identifikation: Verantwortlichkeiten in Teams werden am besten über Substantive
    definiert. Mit der Rolle Problemlöser können sich viele eher identifizieren als mit der Aufgabe Probleme zu lösen.
  • Stärken: Die Verbesserung von Schwächen ist manchmal nötig. Die Konzentration auf Stärken bringt aber auch Vorteile und vermittelt ein Gefühl der Sicherheit. Daher ist es meist die bessere Wahl.

FAZIT

Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht: Das limbische System ist immer mit an Bord und hat Einfluss auf unsere Arbeit und unseren Alltag. Wir sollten uns hin und wieder daran erinnern. Insbesondere dann, wenn wir neue agile Methoden einführen. Und natürlich auch, wenn wir bereits agil arbeiten. Denn wir wollen uns ja kontinuierlich verbessern und das funktioniert sehr viel besser mit Limbi auf unserer Seite.

[1] Werner Tiki Küstenmacher: Limbi, 2014,
Bild von Werner Tiki Küstenmacher

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