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Die Macht der Visualisierung: Wirkungsvolle Prozesse mit Obeya-Räumen etablieren und weiterentwickeln

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Autoren: Steffen Bernd & Carsten Rasche

Visualisierungen helfen dabei, komplexe Vorgänge vereinfacht darzustellen und das Wesentliche zu erfassen. Im Prozess- und Projektmanagement tragen Obeya-Räume dazu bei, relevante Informationen transparent zu machen und die einzelnen Schritte effektiv zu planen. Menschen werden von visuellen Eindrücken stark beeinflusst. So zeigt eine Studie, dass ein Spendenbehälter, über dem zwei gemalte Augen abgebildet sind, 48 Prozent mehr Spenden einbringt als ein Behälter, der mit einem textlichen Aufruf versehen ist. Eine simple Grafik brachte nahezu eine Verdopplung von Spendengeldern!

Das Visualisieren von Ergebnissen und Daten hilft verwobene Zusammenhänge vereinfacht darzustellen, greifbar zu machen und konkrete Handlungen auszulösen. Im beruflichen Kontext ergeben sich vielfältige Anwendungsfelder. Ein besonders effektiver Ansatz, um groß angelegte Projekte oder vielschichtige Produktentwicklung zu ermöglichen, ist das Obeya-Konzept.

Herkunft und Benefits

Obeya, aus dem Japanischen übersetzt, bedeutet so viel wie “großer Raum”. In einem Obeya-Raum werden alle relevanten Informationen eines Projekts visualisiert und für die Teammitglieder transparent gemacht.

Bekannt geworden ist diese Methode insbesondere durch das G21-Projekt bei Toyota. Der damalige Chefingenieur Takeshi Uchiyamada nutzte sie, um das Auto des 21. Jahrhunderts mit sehr herausfordernden Verbrauchszielen zu entwerfen. So brachte das Unternehmen in weniger als drei Jahren das erste Hybridauto, der Prius, auf den Markt – 15 Jahre vor der Konkurrenz. Was war das Erfolgsrezept?

Ein großer, begehbarer Raum, der als zentraler Ort für Führungskräfte und Teams diente, um gemeinsam an strategischen Zielen, Problemlösungen und Entscheidungen zu arbeiten. Hierbei spielen visuell ansprechende Diagramme und Grafiken eine wichtige Rolle,

  • um Transparenz zur aktuellen Lage als zentrale Anlaufstelle zu kreieren.
  • komplexe Zusammenhänge greifbar zu machen und den Informationsfluss zu zentralisieren.
  • verschiedene Meetings zu veranstalten (Planung, Verbesserungsprozess) und diese ergebnisorientierter zu gestalten.
  • den Fokus weg von interner Politik zu externer Lieferung zu lenken.
  • der Organisations- oder Abteilungsleitung zu helfen, Hypothesen und Experimente für das Projekt oder Produkt abzuleiten (Prominentes Beispiel: Amazon Prime war der Test der Hypothese, ob eine Mitgliedschaftsmodell sich für das Unternehmen lohnt) und die Teams gezielt zu unterstützen („what gets measured, gets managed“)
  • einen PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) zu etablieren und damit Teams zur Selbstorganisation zu befähigen. PDCA ist dabei eine iterative Managementmethode zur kontinuierlichen Verbesserung von Prozessen, bei welcher die Planung, Umsetzung, Überprüfung und Anpassung im Kreislauf wiederholt werden.

Die Ergebnisse der gemeinsamen Diskussionen bei Toyota waren so erfolgreich, dass Obeya in den 90ern bereits gängige Praxis in der Toyota-Organisation war.

Mit der Zeit und mit wachsender Erfahrung, diente der Obeya-Raum über das Projektmanagement hinaus für interdisziplinäre technische Diskussionen. Dies führte dazu, dass mehr Informationen benötigt wurden. Daher wurde es zur Gewohnheit, alle relevanten Informationen im Raum auszustellen.

Weitere Verwendungen für einen Obeya-Raum können zum Beispiel sein:

  • Strategiebesprechungen
  • Planungssitzungen
  • Problemlösungsmeetings (z. B. Retro und Review)
  • Informationsveranstaltungen

Fallbeispiel ING Bank

Peter Jacobs ist CEO der ING Bank in den Niederlanden. In einem Vortrag im Rahmen der Konferenz “Agile India 2018” erklärte er, wie die ING Bankengruppe weltweit das Konzept physischer Obeyas als zentrales Koordinationselement eingeführt hat. Wenn man diese Räume betritt, wird man automatisch an den gemeinsamen Purpose und die gemeinsamen Ziele erinnert. Nicht nur die Product Owner halten bei ING ihr Product Owner Weekly vor den Wänden des Obeyas ab, auch die Teams kommen dort wöchentlich zusammen und sprechen über den gemeinsamen Fortschritt. Ein klassischer Obeya besteht bei der ING aus vier Wänden (siehe Abbildung 1):

  • Die Performance Wall zeigt die Wirkung auf, die durch die Arbeit der Teams für die Kund:innen und Nutzer:innen erzielt wird. Dabei kann es sich um Kennzahlen wie den Marktanteil und die Kundenzufriedenheit handeln. In Projekt- oder Organisationsetups, die mit Objectives and Key Results (OKRs) arbeiten, werden an dieser Stelle die OKRs transparent gemacht.
  • An der Portfolio oder Feature Wall ist zu sehen, woran die Teams aktuell in Form von Features, Epics oder User Storys arbeiten, um die Performance zu verbessern. Durch die Festlegung von Fokus und Zielen, wird ein Design-Thinking-Prozess ausgelöst. Auf der Portfolio Wall werden konkrete Experimente und Aktivitäten visualisiert. Bei ING erfolgt die Aktualisierung der Ziele in der Regel quartalsweise. Mit einer Farbkodierung der Post-its wird sichtbar, an welchen Themen die Teams arbeiten. Kleine Icons markieren Verzögerungen und Hindernisse.
  • An den zwei weiteren Wänden dreht sich alles um Verbesserungen: Die Leadership Action Wall zeigt transparent, welche Hindernisse die Führungskräfte aktuell beseitigen. Zunächst unlösbare Herausforderungen werden auf der nächsthöheren Ebene aufgenommen.
  • Die Improvement Wall bietet Platz für Initiativen und Aktionen, um zum Beispiel die Lieferfähigkeit eines Bereichs zu verbessern. In agilen Projekten oder Organisationen entspricht dies oft dem übergreifenden Impediment oder Transformations-Backlog, in dem Verbesserungsbedarfe und -vorschläge gesammelt werden. Obeya-Räume sind physisch oder auch digital möglich. Insbesondere die Corona-Pandemie befeuerte den Trend, die Räume auf digitale Boards wie Miro, Mural oder Conceptboard zu übertragen. Zwar muss das Board immer aktiv im virtuellen Meeting aufgerufen werden, gleichzeitig haben alle immer Zugriff auf den aktuellen Stand.

Die vorgestellten Grundelemente der ING sollten für den eigenen Kontext adaptiert werden. Abbildung 2 zeigt einen Obeya-Raum für ein Transformationsteam, der um ein Backlog, die Vision und einen Sprintkalender erweitert wurde. Grundsätzlich gibt es eine zentrale Voraussetzung für jeden Obeya: Die Projektverantwortlichen bzw. die Product Owner müssen wissen, welche Ziele sie erreichen wollen, um darüber kontinuierlich mit ihren Teams sprechen zu können. Obeya ist also eine einfache, aber wirkungsvolle Methode, um Ziele transparent zu machen.

Den eigenen Obeya-Raum starten

Die Nutzung eines Obeya ist vielfältig, einfach zu verstehen und erfordert wenig Training. Der Aufwand für das Betreiben eines Obeya ist abhängig vom Format und von der zu aktualisierenden Information sowie deren Zugänglichkeits- und Automatisierungsgrad.

Jeder Obeya-Raum startet mit einer konkreten Zielsetzung. Geht es um ein neues Produkt, eine Dienstleistung oder das Steuern eines Projekts? Wichtig ist, dass der Obeya nur einem Thema gewidmet wird, um Fokus, Übersichtlichkeit und Klarheit der Informationen zu gewährleisten. Sollen weitere Themen durch einen Obeya begleitet werden, ist für jedes Thema ein eigener Raum, oder zumindest eine eigene Wand, empfehlenswert.

Im zweiten Schritt wird Chiko-goitsu umgesetzt. Chiko-goitsu bedeutet “Wissen und Aktion müssen eins sein” und geht auf einen Schüler Konfuzius‘ zurück, Mencius. Um das Wissen aufzuarbeiten, müssen die richtigen Kennzahlen gestaffelt nach Relevanz, Aktualisierungsintervall
und Informationsgeber:innen initial gesammelt und aufgearbeitet werden. Dies ist der Grundstein für kontinuierliche Verbesserung.

Egal ob digitaler oder physischer Obeya-Raum: Er sollte sich an einer zentralen Stelle befinden. Ein Raum sollte in etwa vier gleich große Wände mit ausreichend Flächen für Poster, Haftnotizen oder Whiteboards und Pinnwände haben. Bei Toyota sind beispielsweise DIN-A3-Blätter der Standard. Weiter sollte jeder Wandabschnitt eine prägnante Auswahl an aussagekräftigen Informationen präsentieren. Auf diesen können Diagramme, Infografiken, Balkenpläne, Roadmaps, Customer Journeys und mehr abgebildet sein – alles, was dabei hilft, gemeinsam zu verstehen, Entscheidungen zu treffen und Lösungen zu erarbeiten.

Die wichtigsten Meetings im Obeya-Raum

Ein Obeya-Raum muss aktiv bespielt werden. Dabei helfen kann ein Quarterly Business Review (QBR), an dem in der Regel das Management bzw. der oder die Projektverantwortliche
und zwei bis drei Vertreter:innen jedes Teams teilnehmen. Die Teilnehmenden schauen sich die Ergebnisse des letzten Quartals an und holen – ähnlich wie im Rahmen des Sprint Reviews Feedback zu den Lieferungen ein. Gleichzeitig werden die Lieferungen für das nächste Quartal geplant. Auf der Performance und Portfolio Wall sind die Ergebnisse aus dem QBR dann im nächsten Schritt einsehbar. Ein QBR Meeting kann alternativ auch mit allen Team- bzw.
Projektmitgliedern stattfinden.

Alle Verantwortlichen treffen sich danach zweiwöchentlich, um den Obeya-Raum auf den neuesten Stand zu bringen und neue Maßnahmen zu definieren. Abbildung 3 zeigt eine Ablaufbeschreibung der wichtigsten Meetings in einem QBR-Zyklus. Zusätzlich sollten der Obeya-Raum und die Meeting-Zyklen in bestehende Ziel- und Portfoliomanagement-Prozesseeingebunden werden (siehe für eine detaillierte Beschreibung auch unser Buch „Agile Transformation“).

Daten auf dem aktuellen Stand halten

Für die Automatisierung der Obeya-Räume bietet sich das Einrichten von Dashboards an. Es ist wichtig, die Informationen aus erster Hand zu erhalten, wofür die Dateninhaber, Teams und Stakeholder direkt in den Prozess eingebunden sein müssen. Diese Personen sind verantwortlich für die initiale und fortlaufende Aktualisierung der Informationen. Sie sollten in den Meeting-Formaten Änderungen und Auswirkungen kontinuierlich besprechen, damit Rückfragen
schnell beantwortet oder eine eigene Situationseinschätzung abgegeben bzw. zielführende Entscheidungen getroffen werden können. Idealerweise sollten Daten in Echtzeit vorliegen,um
Fehlentscheidungen zu vermeiden. Zusätzlich sollte das Standard-Reporting mit dem Obeya-Raum koordiniert und in gemeinsames Berichtswesen integriert werden, um Aufwände zu reduzieren.

Aussicht

Zukünftige Obeya-Räume werden sich durch die verteilte Arbeitsweise noch stärker vom physischen Treffpunkt hin zum Online-Meeting verlagern. In den Organisationen liegen zwar viele Daten vor, sie werden aber in den seltensten Fällen schon automatisiert und miteinander verknüpft. Ein physischer Obeya-Raum kann ein Start für die sinnvolle Verknüpfung sein. Die Zukunft bietet das Potenzial, Daten und Obeya-Räume weiter zu automatisieren. Künstliche Intelligenz könnte dabei einen Großteil des Trackings und der Datenaufbereitung übernehmen sowie Frühwarnsysteme für Marktentwicklungen und Risikoanalysen erstellen. Langfristige Pläne werden so durch virtuelle Obeyas ersetzt, die in Echtzeit über einen Zeithorizont von einem Jahr planen.

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