Autoren: Marion Hekeler, Stephane Rodet
Beschweren sich Kunden über die komplizierte Bedienung eurer Webseite? Oder dass euer Produkt nicht mehr zeitgemäß wirkt? Vielleicht habt ihr auch schon gehört, dass Kunden lieber zur Konkurrenz wechseln, weil sie unzufrieden sind? Oder dass euer Support-Team ständig überlastet ist, weil Nutzer:innen nicht ohne Hilfe zurechtkommen?
Solche Probleme sind ein klares Anzeichen dafür, dass eurem Produkt oder Service die Benutzerfreundlichkeit fehlt. Benutzerfreundlichkeit ist ein essenzielles Element im Designprozess und geht weit über hübsche Oberflächen hinaus.
Es umfasst mehr als nur Typografie und Farben – es geht darum, die Grundbedürfnisse der Nutzer zu verstehen und diese in ein nahtloses Produkterlebnis (User Experience – UX) zu integrieren. In diesem Artikel zeigen wir euch, was Benutzerfreundlichkeit wirklich bedeutet und wie ihr sie erfolgreich umsetzen könnt, um eure Kunden langfristig zu binden und deren Zufriedenheit zu steigern.
Was bedeutet User Experience?
Bereits in den siebziger Jahren wurden bedeutende Fortschritte im Bereich Digital User Experience gemacht. Schon für die Pioniere von Bell Labs und Xerox war das Thema von großer Wichtigkeit. Sie entwickelten neue Interaktionsmethoden mit Computern, darunter die Computermaus und die grafische Desktop-Oberfläche.
Don Norman, ein Professor und Forscher in den Bereichen Design, Usability und Kognitionswissenschaft, hat das Konzept der User Experience in den 1990er Jahren einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Das übergeordnete Ziel des UX-Designs ist es, die gesamte Erfahrung des Benutzers mit einem Produkt zu verbessern. Es geht darum, wie sich Nutzer fühlen, wenn sie mit einem Produkt interagieren, und ob dieses Produkt ihre Bedürfnisse und Erwartungen erfüllt.
UX-Design sorgt dafür, dass das Produkt nicht nur funktional, sondern auch intuitiv, benutzerfreundlich und wertvoll ist. Dies beinhaltet nicht nur die direkte Interaktion mit dem Produkt, sondern auch alle anderen Aspekte, welche die Wahrnehmung der Benutzer beeinflussen können, wie beispielsweise die Ladezeit einer Website oder die nahtlose Integration einer App mit anderen Systemen.
Dabei ist wichtig zu betonen, dass UX-Design nicht nur für digitale Produkte relevant ist. Auch bei physischen Produkten, wie Handys, Autos oder Haushaltsgeräten, spielt die Benutzererfahrung eine entscheidende Rolle für den Markterfolg.
(Quelle: IBM, https://www.ibm.com/design/language/illustration/flat-style/design/)
UX-Design ist ein multidisziplinäres Feld, das verschiedene Aspekte der Benutzererfahrung umfasst wie Usability, Nützlichkeit, Wünschbarkeit, Markenwahrnehmung und Gesamtleistung.
Das User Interface (UI) hingegen konzentriert sich auf die visuellen und interaktiven Elemente eines Produkts. Dabei ist es wichtig, dass diese Elemente nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch funktional und effizient sind.
Derzeit beschäftigen sich Designer zunehmend mit dem Thema Künstliche Intelligenz (KI). Es geht um die Frage, wie man die beste Interaktion, die optimale Darstellung und eine vertrauenswürdige Gestaltung erreicht und dabei Ethik, Inklusion und Transparenz mitdenken kann.
Warum braucht man nutzerfreundliche Erlebnisse?
Die Menge an Inhalten und Produkten auf dem Markt ist so überwältigend, dass es für Unternehmen und Produkte immer schwieriger wird, sich von der Masse abzuheben.
Wie wird ein Produkt leicht auffindbar, verständlich und erlebbar?
Nutzerinnen und Nutzer bemerken eine gute User Experience sowohl bewusst als auch unbewusst. Sie entscheiden sich für Produkte, die ihnen einen klaren Mehrwert und ein angenehmes Erlebnis bieten und bleiben diesen länger treu. Aber warum ist das so?
Aarron Walter beschreibt in seinem Buch „Designing for Emotion“ eine Pyramide von Bedürfnissen. Dabei geht er davon aus, dass höhere Bedürfnisse (wie Vergnügen und Vertrauen – ganz oben in der Pyramide) nur dann erfüllt werden können, wenn grundlegende Bedürfnisse (wie Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit) erfüllt sind.
Walters Theorie besagt, dass ein Produkt nur dann Freude bereiten kann, wenn es brauchbar ist.
Das bedeutet, dass digitale Erlebnisse in erster Linie funktional, zuverlässig und nutzbar sein sollten. Diese Aspekte bilden das Fundament. Eine ästhetisch ansprechende Anwendung, die nicht funktionsfähig ist oder keinen praktischen Nutzen bietet, wird die Grundbedürfnisse der Nutzer nicht befriedigen. Die Anwendung sollte keinen großen Aufwand erfordern, um ihre Funktionen zu entdecken und zu nutzen.
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Aarron Walters Hierarchie der Benutzerbedürfnisse (Quelle: Walters, “Designing for Emotion”, 2020.)Funktional: Benutzer sollten ihre Aufgaben erledigen können.Zuverlässig: Das Produkt sollte nicht “zeitweise ausfallen oder unzuverlässig sein”.Benutzerfreundlich: Benutzer sollten “schnell grundlegende Aufgaben erlernen können”.Angenehm: Das Benutzen eines Produkts sollte vertrauenswürdig sein und “ein Lächeln auf euer Gesicht zaubern”. |
Tipps für ein besseres Nutzererlebnis
- Nutzer:innen in den Mittelpunkt stellen
Der Prozess zur benutzerfreundlichen Lösung sollte immer damit beginnen, die Zielgruppe zu verstehen, für die man die Lösung gestaltet und das richtige Problem zu definieren, das gelöst werden muss. Daraus ergeben sich Lösungen, die auf die Nutzerbedürfnisse zugeschnitten sind und echten Mehrwert bieten.
Das Team sollte regelmäßig direktes Feedback von den Nutzer:innen einholen und deren Verhalten beobachten. Die Lösungen müssen unter realen Bedingungen getestet werden. Direkter Kontakt zu den Endnutzerinnen und Endnutzern ist dabei entscheidend – die Rückmeldungen von „Proxys“ wie Vertriebsmitarbeitenden oder Partnern sind nicht ausreichend.
Die gewonnenen Erkenntnisse sollten in die Gestaltung einfließen und kontinuierliche Anpassungen ermöglichen.
- Iterieren und validieren
Schnelles Prototyping ermöglicht es, das richtige Problem zielgerichtet anzugehen. Ideen und Lösungen sollten frühzeitig mit Endbenutzer:innen validiert werden, um Erkenntnisse zu gewinnen und die Kosten in der Entwicklung zu senken. Auch nach der Markteinführung sollte diese Beobachtung und Verbesserungsarbeit fortgesetzt werden.
Konzepte wie Progressive Delivery und Instrumentierung unterstützen den kontinuierlichen Verbesserungsprozess.
Prototyping hilft Ideen frühzeitig zu validieren (Quelle: IBM) |
- Einfachheit und Klarheit
Menschen können nur begrenzte Mengen an Informationen verarbeiten, besonders im heutigen digitalen Überfluss. Neue Konzepte sollten daher so einfach und deutlich wie möglich dargestellt werden. Fehlen klare Hierarchien und Informationen, fühlen sich Nutzer:innen schnell überfordert, verlieren den Fokus und benötigen länger, um ans Ziel zu kommen. Storytelling kann dabei helfen, die Benutzerinnen und Benutzer zielgerichtet durch das Interface zu führen. Einfachheit und Klarheit sind entscheidend, um die Komplexität zu reduzieren.
- Konsistente Erlebnisse
Die Verwendung bewährter UX-Muster in der Navigation und im Interaktionsdesign und Nutzung vertrauter Zeichen (wie das E-Mail-“Inbox”-Symbol oder das Lupen-Icon) reduziert die kognitive Belastung und beschleunigt die Lernkurve. Dies sorgt für ein einheitliches Erlebnis über verschiedene Funktionen und sogar Produkte hinweg, erlaubt den Nutzer:innen schnelleres Arbeiten und fördert Vertrauen in die Lösung.
- Onboarding für neue und erfahrene Benutzer:innen
Die erste Begegnung mit einem Produkt oder einer Dienstleistung ist besonders entscheidend für ihren Erfolg. Nutzerinnen und Nutzer sollten schnell den Mehrwert erkennen können und ein positives Erlebnis haben. Erfüllen Angebote diese Kriterien, lassen sich leichter neue Kunden gewinnen. UX-Teams gestalten Lösungen sowohl für Erstanwender als auch für wiederkehrende Benutzer. Die Aufgabe besteht darin, die Beziehung zu den Anwendern schrittweise zu vertiefen. Dabei ist es wichtig, dass alle wesentlichen Informationen bereitgestellt werden, ohne die Einarbeitungszeit der Nutzer unnötig zu verlängern und die anfängliche Produktivität zu behindern.
6. Inklusives Design
Wer hat sich nicht mal einen Arm gebrochen oder seine Brille vergessen? Und war dann froh, am Computer trotzdem weiterarbeiten zu können. Inklusives Design geht über die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen hinaus. Die Entwicklung von barrierefreien Schnittstellen unter Einhaltung von Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) verbessert das Erlebnis für alle. Besserer Kontrast erleichtert beispielsweise die Nutzung bei direkter Sonneneinstrahlung, und die Tastaturunterstützung hilft Power-Usern noch effizienter zu sein.
- Emotionale Bindung schaffen
Mikrointeraktionen, Animationen oder humorvolle Texte tragen dazu bei, dass Nutzerinnen und Nutzer Vertrauen aufbauen und eine emotionale Bindung zum Produkt entwickeln. Solche Details schaffen nicht nur unvergessliche Erlebnisse, sondern erleichtern auch die Navigation durch die Anwendung, oft auf einer eher unterbewussten Ebene.
Besonders im mobilen Bereich sind Mikrointeraktionen von großer Bedeutung. Sie ermöglichen es den Anwendern, sich eine räumliche Vorstellung von den UI-Elementen zu machen, was eine schnellere und effizientere Orientierung auf der begrenzten Bildschirmfläche unterstützt.
Nutzerengagement kann durch eine emotionale Bindung erhöht werden |
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Oder |
Nutzerengagement kann durch eine emotionale Bindung erhöht werden |
Quelle: IBM |
- Das Entwickeln von Erlebnissen ist ein Teamsport
Wenn eine Anwendung ästhetisch aber die Webseite dafür nicht nutzbar ist, werden nur wenige Nutzer:innen bleiben. Daher müssen alle Beteiligten in der Kette die Benutzererfahrung im Blick behalten und gemeinsam daran arbeiten.
Unterschiedliche Perspektiven und Fähigkeiten sind entscheidend für ein voll funktionsfähiges, interdisziplinäres Produktteam mit klaren Verantwortlichkeiten – von der Entwicklung über das Produktmanagement, Design, Marketing bis hin zum Support.
- Qualität und Liebe zum Detail
Selbst kleine Kompromisse bei der Qualität können das gesamte Benutzererlebnis beeinträchtigen. Softwarequalität, Stabilität oder Performance sind wesentliche Bestandteile der UX. Langsame Ladezeiten und verzögerte Reaktionen können die Benutzererfahrung erheblich negativ beeinflussen.
Fazit
Benutzerfreundlich gestaltete Webseiten, Produkte oder Dienstleistungen können den Umsatz eines Unternehmens erhöhen. Diese scheinbar einfache Wahrheit birgt jedoch Herausforderungen. Eine gute User Experience (UX) erhöht die Konversionsraten, reduziert die Absprungraten und steigert die Kundenzufriedenheit, was wiederum die Markenloyalität stärkt. Immer mehr IT-Unternehmen befassen sich deshalb intensiv mit dem Thema Design, was aber mehr als visuelle Gestaltung sein sollte: Es geht darum, alle Interaktionen so zu gestalten, dass sie klar, ansprechend, konsistent und einfach zu bedienen sind.
Um eine benutzerfreundliche Anwendung zu gestalten, muss sich das gesamte Team diesem Thema widmen und die Business- sowie technischen Prioritäten entsprechend anpassen und abstimmen.
User Experience ist nicht auf eine bestimmte Oberfläche beschränkt, sondern wird bei jeder Interaktion mit dem Unternehmen wahrgenommen und bewertet. Wenn die Benutzer:innen im Zentrum stehen, hat das letztendlich einen positiven Einfluss auf das Business. Feedback und iteratives Arbeiten sind dabei essenziell.
Über die Autor:innen
Marion Hekeler
Marion Hekeler ist Design Principal bei IBM. Sie ist verantwortlich für User Experience Standards in IBMs Data & AI Produktportfolio. Marion hat einen Hintergrund in visueller Kommunikation und vor ihrer Zeit bei IBM in Design Agenturen gearbeitet.
Stephane Rodet
Stephane Rodet ist Design Principal bei IBM und ist dabei verantwortlich für die Skill-Entwicklung von Front-End-Entwicklern. Davor war er UX Engineer und Front-End Team Lead für Cloud Produkte. Er ist verheiratet, hat ein Kind und arbeitet seit 2006 bei IBM.