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Leichte Sprache, große Wirkung: Wie Usability und Sprache harmonieren

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Autorin: Ha-Phuong Nguyen

Mit Usability die Welt verbessern? Ja, das geht! Die Verbindung von Leichter Sprache und intuitiver Nutzerführung bestärkt Menschen und verhilft ihnen zu mehr Selbstbestimmung.
Das BFSG kann eine Gelegenheit sein, sich mit der sinnvollen Verbindung aus Usability, Accessibility und Linguistik zu befassen.

Werden zudem Barrierefreiheitsstandards erfüllt, kann gute UX nicht nur reguläre User besser führen, sondern auch ganz neue Zielgruppen erschließen und Zugänge ermöglichen.

Digitalisierung ist für unseren Alltag so selbstverständlich wie notwendig. Sie ermöglicht Menschen, am digitalen Leben teilzunehmen, Informationen zu erhalten und Services zu nutzen.
Dennoch hat ein Großteil digitaler Identitäten und Apps erhebliche Barrieren, die Menschen an der Nutzung hindern. Analphabetismus beispielsweise trifft in verschiedenen Formen auf etwa 13 %
der Gesamtbevölkerung zu. Die Dunkelziffer mit funktionalem Analphabetismus und Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten ist weitaus höher. Hinzu kommen körperlich oder kognitiv behinderte
Menschen und jene ohne ausgeprägte Sprachkenntnisse: für (zu) viele bleibt die digitale Teilhabe erschwert.

Zwei Ansätze zum Abbau digitaler Barrieren sind Leichte Sprache und Usability. Egal, ob Anleitungen, Inhalte, Anwendungen oder Services: Leichte Sprache vereinfacht komplexe Zusammenhänge für ein breiteres Publikum. Sie ist eine vereinfachte Form der deutschen Schriftsprache, um Informationen für Menschen zugänglich zu machen. Inhalte in Leichter Sprache dienen als zusätzliche Option zum Standardtext. Oft wird Leichte Sprache mit „einfacher Sprache“ verwechselt und als Synonym verwendet, doch unterscheiden sich beide in ihren Zielen und Auslegungen. Einfache Sprache ist Intention und Umsetzung von Maßnahmen zur Vereinfachung von Sprache, nicht genormt und interpretierbar. Leichte Sprache hingegen ist standardisiert und unterliegt definierten Regeln u. a. zu Syntax, Textaufteilung und Absätzen. Schon allein die Großschreibung des Buchstaben „L“ vermittelt, dass es sich um einen standardisierten Fachbegriff handelt und ähnlichen grammatischen Regeln unterliegt wie Eigennamen.

Durch die Verbindung von Leichter Sprache mit Usability werden Inhalte und Funktionen besser verstanden und genutzt. Beides verhilft Usern möglichst schnell und einfach zum Ziel. Als Teil der Barrierefreiheit stellt Leichte Sprache sicher, dass alle Menschen digitale Produkte verstehen und nutzen können – ungeachtet individueller Voraussetzungen.

Barrierefreiheit: in digital, indiskutabel und im Alter

Rund um digitale Barrierefreiheit fallen schnell Buzzwörter wie BITV, WCAG, BGG. Gesetzlich wird die Barrierefreiheit bereits seit Jahren angestrebt und verankert. Aus ethischer Perspektive ist
Barrierefreiheit ein Selbstverständnis zeitgemäßer Gesellschaften.

Zwar verlangt das Gesetz nicht per se die Verbindung von Barrierefreiheit und Nutzerzentrierung, doch macht es durchaus Sinn, beides zu verbinden. Gute und nutzerorientierte Websites sind funktional, gut designt UND unterstützen Nutzende dabei, schnell und einfach ans Ziel zu kommen. Die Prinzipien von Usability und Leichter Sprache ergänzen sich hervorragend, denn bei beiden werden Bedürfnisse der Zielgruppe identifiziert und mit Unternehmenszielen in ein funktionierendes Konzept transformiert. So kann UX-Writing mit klaren, leicht verständlichen
Anweisungen und Informationen die Nutzbarkeit erheblich steigern: durch eindeutige Schaltflächen, einfache Menüstrukturen und visuelle Unterstützung zur Navigation durch Icons.

Text ist nicht gleich Text …
Texte, also die schriftliche Form von Sprache, sind ein zentraler Teil digitaler Produkte. Dort, wo Menschen für direkte Dialoge fehlen, übernimmt die Schriftsprache. Zu unterscheiden ist zwischen UX-Writing und Copywriting. Beide sind wichtig für den Inhalt, doch sie verfolgen verschiedene Ziele und Prinzipien. Während UX-Writing eher bedürfnis- und nutzerorientiert ist, werden Copies zu Verkaufs- und Marketingzwecken verfasst und verfügen über ein eigenes Storytelling. Keines ersetzt das andere und im Optimalfall ergänzen sich beide.

Wird also von Texten und UX gesprochen, handelt es sich meist um Wörter und Sätze, die Buttons oder weitere Funktionen auf dem User Interface ergänzen. Aber auch Hilfetexte, Gebrauchsanweisungen und Hinweise unterliegen den Prinzipien von UX-Writing. Durch Farben, Typographie und Architektur entsteht ein Setting, das User anspricht und durch die Anwendung führt. Auch Möglichkeiten der Anpassung an individuelle Bedürfnisse sind zentral für die Zugänglichkeit. So ist es für viele Menschen spätestens im fortgeschrittenen Alter wichtig, dass Texte vergrößert werden können oder Alternativtexte für Bilder und Grafiken stets inbegriffen sind, um sehbehinderte Menschen nicht auszuschließen.

Texte in Leichter Sprache sind kein Ersatz für Fachsprache und besitzen keine Rechtskraft, sind jedoch in Bezug auf Selbstbestimmung zentral. Denn nur Menschen, die über genügend Informationen verfügen und verstehen, können aktiv Entscheidungen fällen. Leichte Sprache kommt der Barrierefreiheit zugute und entspricht somit dem § 9 der UN-Behindertenrechtskonvention, wonach Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte haben sollen wie Menschen ohne Behinderung und diese uneingeschränkt nutzen können.

Generell geht es bei Leichter Sprache darum, dass User sich jederzeit orientieren und Informationen verarbeiten können. Schachtelsätze, komplexe grammatische Strukturen wie Verbkonstruktionen oder Passivkonstruktionen bestehen aus mehreren, auseinander liegenden Elementen und sind schwer verständlich.

Demgegenüber ist die deutsche Sprache prädestiniert für Schachtelsätze und komplexe Syntax. Auch Mark Twain bemerkte schon im 19. Jh die Komplexität deutscher Grammatik:

„Wenn der literarisch gebildete Deutsche sich in einen Satz stürzt, sieht man nichts mehr von ihm, bis er auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans mit dem Verb zwischen den Zähnen wieder auftaucht.“

Wenn beispielsweise aufgrund kom­plexer Satzstrukturen die Augen mehr­mals Subjekt, Objekt und Prädikat identifizieren oder Reader sich wieder­holen müssen, sind Informationen nicht barrierefrei zugänglich.

Als Beispiel für die Komplexität der deutschen Sprache dient der soeben gelesene Satz. Er fängt mit einem Nebensatz an und das „Hauptverb“ ist erst an 19. Stelle zu finden. Der Satz geht über drei Zeilen, verwendet ein Verb elliptisch (d. h.: mehrere Subjekte teilen sich ein Verb: „die Augen“ und „Reader“ teilen sich „müssen“). Es werden inhaltlich mehrere Perspektiven, Bedingungen und Herausforderungen erläutert und resümiert. Das Beispiel zeigt, wie hoch die Informationsdichte innerhalb eines Satzes sein kann und welche sprachlichen Verhältnisse vorliegen. In juristischen oder wissenschaftlichen Bereichen ist obige Satzstellung eher Norm als Seltenheit. Zwar ist es sinnvoll und notwendig, möglichst präzise Formulierungen zu verwenden, doch die Rechnung ist simpel: Je höher die Informationsdichte und beschreibender das Wording, desto komplizierter die Verarbeitung des Inhalts.

Es gilt demnach, immer abzuwägen und sich zu fragen: Wer ist meine Zielgruppe und was ist das Ziel in diesem Kontext? Geht es vorrangig um Orientierung und Verständnis, ist Leichte Sprache gegenüber adäquatem Ausdruck zu bevorzugen.

Wie funktioniert Leichte Sprache?

Um Sprache zu vereinfachen, sollten alle Inhalte vor der Veröffentlichung getestet werden und sich mindestens an den Do‘s und Dont‘s der Leichten Sprache orientieren:

Leichte Sprache: Dos

  • Kurze Sätze mit möglichst je einem Subjekt, Prädikat, Objekt
  • Konsistenz im Wording
  • Visuelle Unterstützung durch Bilder und Icons. Informationsvermittlung über die Textebene hinaus
  • Konsistenz und einheitliches Wording, denn jeder neue Begriff muss kognitiv verarbeitet werden
  • Zwischenergebnisse und fertiges Produkt von Expert*innen testlesen lassen
  • Aktives statt passives Wording: kürzere und direktere Sätze vereinfachen die Verarbeitung

Schwere Sprache: Don‘ts!

  • Sätze, die über mehrere Zeilen gehen
  • Verschiedene Begrifflichkeiten für gleiche Funktionen (konsistentes Wording ist zentral)
  • Fachbegriffe und Abkürzungen wie „usw.“ und „Abk.“
  • Textblock ohne Absätze und Zwischenüberschriften, die Info-Entnahme vereinfachen.
  • Lange Substantivierungen wie „Behördensensibilisierungsmaßnahmen“
  • Verneinungen, vor allem doppelte: „Ich bin nicht unglücklich“
  • Verbkonstruktionen wie: Die Menschen setzen sich zur Wehr. Besser: Sie wehren sich.

Werden die Regeln auf das vorige Beispiel angewendet, ändert sich vor-heriger Satz zu:

Schwere Sätze müssen wir oft lesen. So verstehen wir, wer was macht. Manche brauchen ein Vorleseprogramm. Kurze Sätze verstehen alle Menschen besser.

Next Level: Tools und Tests

Auch, wenn Barrierefreiheit bereits in der Konzeptionsphase einfließt, braucht es Tests während und nach der Umsetzung. So können allgemeine Standards ebenso wie Funktionen hinsichtlich Sprach- und Textkommunikation, Video-Anpassungen und Bedienbarkeit abgecheckt und ggf. optimiert werden. Hilfreiche Tools entlang des gesamten Prozesses von Konzept bis Launch stellen so barrierearme Produkte sicher.

Zwar wird BarriereFREIHEIT angestrebt, doch näher an Praxis und Realität ist der Begriff „barrierearm“. Von Freiheit kann nämlich erst gesprochen werden, wenn beispielsweise eine Software keinerlei Barrieren aufweist und festgelegte Standards erfüllt. Dennoch wird innerhalb der europäischen Norm zur digitalen Barrierefreiheit, der EN 301 549, von Barrierefreiheit gesprochen und als Ziel angestrebt.

Nützlich sind hier vor allem Tests, die Inhalte auf Sprache, Verständlichkeit, Flexibilität und Benutzerfreundlichkeit testen:

BIK BITV­Test: Tests für Webanwendungen und Apps zur europäischen Norm EN 301 549. Hinzu kommen Kriterien für WCAG-Konformitätsstufen. So lassen sich Stand der Barrierefreiheit und Maß-nahmen identifizieren, die als nächstes ergriffen werden sollen.

Accessibility Checkliste: von a11yproject

Language Tool: KI-basierte Prüfung von Textinhalten auf Rechtschreibung, Grammatik und Interpunktion. Zusätzlich können Beispieltexte eingefügt und in einfache Sprache transformiert werden.

TextLab: Software, die Inhalte auf Verständlichkeit, Komplexität, Anglizismen etc. überprüft. Sie unterstützt beim Verfassen verständlicher Sprache und orientiert sich an den Indikatoren für Lesbarkeit, dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex (HIX).

Pagespeed: für einen schnellen ersten Eindruck über Usability und a11y mit Google Insights.

Tl;dr – Version Leichte Sprache

Leichte Sprache kann die Verständlichkeit von digitalen Inhalten erheblich verbessern. Websites, Apps und digitale Dienstleistungen, die in Leichter Sprache bereitgestellt werden, sind zugänglicher für Menschen mit unterschiedlichen sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten. Dies schließt nicht nur behinderte Menschen ein, sondern auch ältere Menschen und Personen mit Migrationserfahrung und unterschiedlichen Bildungsniveaus. Doch alle Menschen profitieren von intuitiver Nutzerführung.


Zudem ist aufgrund des demografischen Wandels davon auszugehen, dass die Zahl von Usern in Zukunft signifikant ansteigen wird, die barrierefreie Angebote in Anspruch nehmen möchten. Leichte Sprache und Usability sind hier wesentlich, um digitale Teilhabe zu fördern. Sie tragen dazu bei, Barrieren abzubauen und er-weitern digitale Angebote für eine breite Nutzergruppe. Die Kombination dieser Ansätze stärkt die Inklusion und ermöglicht es mehr Menschen, die Vorteile der digitalen Welt zu nutzen. Unternehmen und Organisationen sollten daher verstärkt darauf achten, mit anderen Expert:innen der Inklusion gemeinsam eine gerechtere und zugängliche digitale Landschaft erschaffen.

Quellen:

  1. „Was ist Leichte Sprache“ Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2024
  2. Richtlinie (EU) 2016/2102 des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen; Artikel 4 über
  3. Gesetze und Richtlinien zur Nutzung von Informationstechnologie und Teilhabe, Portal Barrierefreiheit des Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnologie.
  4. Institut für Menschenrechte, Artikel 9 UN-BRK (Zugänglichkeit)
  5. Netzwerk für Leichte Sprache, Regelwerk und Arbeitsgruppe
  6. Universität Hohenheim: Klartext und TextLab, Software für Korrektur und vereinfachte Sprache
  7. LEO-Studie, Bundesministerium für Bildung und Forschung
  8. WCAG 2: Strategies, standards, resources to make the Web accessible to people with disabilities
  9. BGG: Behindertengleichstellungsgesetz, Bundesministerium für Arbeit und Soziales
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