Autoren: Prof. Dr. Christoph Meinel, Matthias Schwenzer
In Zeiten der digitalen Transformation braucht es im Beruf und für eine mündige und selbstbestimmte Teilnahme am öffentlichen Leben Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien und Technologien. Ohne das Verständnis, wie diese grundsätzlich funktionieren, ist es schwer, sich in der entstehenden digitalen Welt frei und sicher zu bewegen. Wo hinterlässt mein Handeln (Daten-)Spuren? Wer braucht Zugang zu meinen Daten und wer nicht?
Das zur Beantwortung dieser und vieler weiterer Fragen nötige Wissen muss nicht nur von älteren Generationen neu erworben werden, auch in der Schule kann man es bislang nicht
stringent erwerben. Solche Bildungslücken gibt es nicht nur in Bezug auf die neuen digitalen Technologien: In so ziemlich allen Bereichen unseres Lebens ist es dank der digitalen Technologien in den letzten Jahrzehnten zu einer regelrechten Explosion des Wissens gekommen, sodass das in Schule und Universität erworbene Wissen nicht mehr ausreicht, den heutigen Anforderungen im Beruf und im täglichen Leben gerecht zu werden. Lebenslanges Lernen wird damit zu einer Notwendigkeit, der sich keiner mehr entziehen kann.
Glücklicherweise bieten die digitalen Technologien aber auch Chancen, den stetig wachsenden Anforderungen des lebenslangen Lernens gerecht zu werden. Der Zugang zu Bildung bis hin zur Universitätsebene ist für alle, die dies möchten, dank digitaler Lern- und Lehrangebote niedrigschwellig und oft auch ohne hohe formelle Voraussetzung möglich geworden.
MOOCs: Was sind Massive Open Online Courses?
Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam bietet als universitäres Institut für Digital Engineering Bildungsangebote auf allen Ebenen. Dabei wird auf eine innovative Form des
E-Learnings gesetzt: die sogenannten MOOCs – Massive Open Online Courses, interaktive digitale Kurse ohne jede Zugangsbeschränkung für Tausende von Lernenden. Die Entwicklung von MOOCs gab dem digitalen Lernen und damit dem Thema des lebenslangen Lernens einen enormen Schub. Die vorherigen E-Learning-Formate lieferten zwar umfangreiches Material und Möglichkeiten zum Lernen, hatten aber ein großes Manko: Man lernte für sich allein. Lernen ist für die meisten jedoch ein sozialer Prozess und die wenigsten Menschen sind autodidaktisch so begabt, allein Lernerfolge zu erzielen.
Der erste MOOC wurde 2011 von Sebastian Thrun und Peter Norvig an der Stanford Universität entwickelt. Sie boten ihren Kurs „Introduction to Artificial Intelligence“ mit spezifisch interaktiven Funktionalitäten, ähnlich Foren in sozialen Medien, online und offen für alle Interessierten in der Welt an. Damit konnten sich in den Kursen virtuelle Lern-gemeinschaften bilden, da sich alle Teilnehmenden mit dem gleichen Lernstoff und -thema beschäftigten. Die Erweiterung um die soziale Komponente führte zum Erfolg der MOOCs als echte Alternative zu offline Lernformaten.
Im Jahr 2012 bot auch das HPI einen ersten MOOC auf der selbst entwickelten Onlineplattform openHPI.de an, der ersten europäischen MOOC-Plattform. Auch andere renommierte Organisationen, wie Coursera oder EdX, begannen, auf ihren Plattformen
MOOCs anzubieten. Anders als diese Plattformen setzte openHPI von Beginn an stiftungsfinanziert auf Unabhängigkeit und Gemeinnützigkeit.
Merkmale eines MOOCs
Nicht jeder Onlinekurs ist automatisch ein MOOC, sondern er muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen:
Massive: Tausende, potenziell hunderttausende, Lernende können erreicht werden. Diese hohe Skalierung stellt besondere Anforderungen an die Infrastruktur und an die Methodik
bei der Aufbereitung des Lernstoffes. Auch müssen in einer so großen internationalen Lerngemeinschaft unterschiedliche kulturelle Hintergründe und Bildungsbiografien berücksichtigt werden.
Open: Ein MOOC hat keine formellen oder institutionellen Zugangsbeschränkungen. Jede interessierte Person kann teilnehmen, solange sie über eine ausreichende Internetverbindung und eventuell vorausgesetztes Wissen verfügt – egal, ob zertifiziert oder nicht. Kursdesign und Infrastruktur halten die Eintrittsschwelle so niedrig wie möglich inklusive einer kostenlosen Teilnahme. Lediglich eine Gebühr für identitätsgeprüfte Zertifikate kann anfallen.
Online: Ein wichtiger Aspekt ist die Interaktion der Teilnehmenden in der virtuellen Gemeinschaft. Teilnahme, Kursmanagement und Interaktion erfolgen vollständig online. Moderne Web-Technologien ermöglichen den Abruf von multimedialen Lernressourcen sowie die Bearbeitung und automatisierte Bewertung von zu lösenden Übungsaufgaben. Die komplette Kursteilnahme erfolgt über den Browser ohne die Notwendigkeit, lokal eine Software zu installieren.
Courses: Die Gestaltung des Kurses als Abfolge von zahlreichen kurzen Lernvideos und Tests zur Überprüfung des Lernerfolgs kann einige Aspekte klassischer Lernsettings übernehmen, muss aber an anderen Stellen die Gegebenheiten der digitalen Medien und der Offenheit berücksichtigen. Die Kurse sollten Eventcharakter bzw. eine Semi-Synchronizität besitzen und dürfen keine einfachen Lernmaterialsammlungen sein.
Elemente eines MOOCs
Lernen in sozialer Gemeinschaft
Viele der großen Online-Lernplattformen setzen auf Kurse, in denen die Lernenden komplett im eigenen Tempo lernen können und im Grunde zu Konsumenten des Lern-angebots werden. Für autodidaktisch geprägte Menschen kann dies sehr gut funktionieren. Für viele Lernende ist aber gerade das Entscheidende, sich mit den anderen austauschen zu können, auf gemeinsame Probleme zu stoßen und diese gemeinsam zu lösen. Die MOOCs auf openHPI setzen daher auf Lernen als soziales Event:
- Kurse haben feste Start- und Endzeiten, zu denen die Inhalte, Selbsttests und Prüfungen sowie Diskussionsboards freigeschaltet werden.
- Collab Spaces dienen dazu, dass sich die Lernenden in Gruppen zusammenfinden
und über Aufgabenstellungen und Inhalte austauschen können. openHPI stellt
hierfür eine Schnittstelle zu Jitsi zur Verfügung, mit der die Lernenden direkt aus
der Plattform heraus eine Konferenz starten können. - Diskussionsforen helfen, Gleichgesinnte zu treffen und über Fragestellungen zu diskutieren. So entfällt in vielen Fällen die Notwendigkeit einer Klärung durch die
Teaching Teams. Bei häufig auftretenden Fragen können diese in einem Arbeitsschritt im Forum beantwortet werden.
Vermeintlich geht durch diesen Eventansatz Flexibilität verloren. Bei openHPI wird diesem unter anderem durch ständige Evaluationen wie z. B. Kursmodularisierungen mit separaten Prüfungen begegnet. Ebenso wurde bewusst entschieden, Kursreaktivierungen nur gegen Bezahlung anzubieten. Das heißt: Die Kursmaterialien abgelaufener Kurse können kostenlos besucht werden, eine Zertifizierung über eine Teilnahmebescheinigung hinaus
ist aber nur gegen Bezahlung möglich. Dies soll dazu führen, dass zwar die volle Flexibilität erhalten bleibt aber große Anreize vorhanden sind, einen Kurs dann zu besuchen, wenn auch andere Teilnehmende im Kurs eingeschrieben sind, sprich: wenn er offiziell stattfindet.
Skalierbarkeit
Ein MOOC muss potenziell in der Lage sein, hunderttausende Lernende teilnehmen zu lassen. Das stellt hohe Anforderungen sowohl an die Technologie als auch an die Methoden. Einfach zu skalieren sind Formate wie Quizzes und Wissenstests. Wie aber kann vertiefendes und reflektierendes Lernen in einem Setting mit tausenden anderen Lernenden gelingen, wenn die Teaching Teams nicht jeden Essay lesen können?
Derzeit sind die Möglichkeiten, den Anforderungen von automatisierter Bewertung zu begegnen, noch sehr limitiert und beschränken sich im Wesentlichen auf Multiple-Choice-Tests. In Bereichen der Mathematik oder der Programmierung, also überall da, wo sich praktische Aufgabenstellungen gut automatisieren lassen, ist der Stand der Technik schon weiter. Es gibt bereits erste Versuche, freie, kreative Aufgabenstellungen KI-basiert zu bewerten. Diese sind im Moment jedoch noch weit davon entfernt, breit
eingesetzt werden zu können.
Ein aktueller Forschungszweig, um Lernen und Bewertung skalierbar zu machen, sind Peer Assessments. Dabei werden Aufgabenstellungen in Teams oder alleine bearbeitet und
dann von den anderen Lernenden bewertet. Im nächsten Schritt muss jeder Lernende selbst mindestens eine weitere Arbeit bewerten, sodass sich das System selbst erhält. Um faire Beurteilungen zu gewährleisten, werden – noch bevor die Note feststeht – auch
die Bewertungen der Peers durch die Bewerteten beurteilt – nach den Kriterien von Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit, aber auch danach, wie hilfreich sie für das eigene Weiterkommen sind.
Als drittes beurteilt sich jeder Teilnehmende – nach der Betrachtung des Feedbacks und der Arbeiten der anderen – noch einmal selbst. Je näher die eigene Einschätzung an der
Beurteilung durch die Peers liegt, desto mehr Bonuspunkte gibt es für die Selbst-beurteilung. Unsere Erfahrung auf openHPI und aus unserer Forschung ist, dass mit dieser Methode nur sehr selten Regradings, also eine Korrektur der Beurteilung durch die Teaching Teams, notwendig sind und somit auch komplexe Aufgabentypen in MOOCs angewendet werden können.
Kleinteiliges Lernen und Feedback
Heutige mediale Gewohnheiten lassen es nicht mehr zu, dass lange Texte oder stundenlange Lernvideos von kompletten Vorlesungen auf eine MOOC-Plattform geladen werden. Etabliert haben sich Videos von wenigen Minuten Dauer und häufige, kurze Quizzes zum Selbsttest, welche die Lernenden auf ihrer Learning Journey bestärken und unterstützen.
Zertifizierung und Lehre auf Universitätsniveau
Ein besonderes Merkmal vieler MOOCs ist, dass sie, anders als auf klassischen Lernplattformen, auf Universitätsniveau kuratiert sind. Die Lehrenden auf openHPI, aber auch auf anderen etablierten Plattformen, sind allesamt renommierte Experten und Expertinnen auf ihren Gebieten. Auf openHPI gibt es für einzelne Kurse sogar die Möglichkeit für Studierende, ihre Teilnahme in ECTS-Punkte umwandeln zu lassen. Gleichzeitig besteht für die Teilnahme keine Notwendigkeit, eine Hochschulzugangs-berechtigung nachzuweisen.
Motivation
Wie können Menschen alleine zu Hause dazu motiviert werden, weiter aktiv an einem Kurs teilzunehmen? Hier hat sich regelmäßiges Feedback als hilfreiche Stütze für Lernende etabliert.
- Eine Fortschrittsanzeige zeigt den Lernenden jederzeit an, wo sie im Kurs stehen
- Erfahrungspunkte sind Aushängeschilder für Lernende, die besonders viele Kurse
erfolgreich abgeschlossen haben. - Badges (Abzeichen) als besondere Auszeichnungen für rege Teilnahme im Diskussionsforum oder besonders hilfreiche Antworten im Forum unterstützen erwünschtes Verhalten.
- Besonders erstrebenswert für viele Lernende ist ein hoher Status im Forum, den
sie über sogenannte „Judogürtel“ zeigen können, die sie auf Basis ihrer Erfahrungspunkte erhalten
Personalisierbarkeit
Eine der größten Stärken von MOOCs ist, dass die Teilnehmenden weitestgehend selbst entscheiden können, was, wann und wie sie lernen möchten und dabei trotzdem mit anderen Lernenden in Kontakt bleiben. Zwar haben die Kurse ein festes Start- und
Enddatum. Während der Kurswoche können die Teilnehmenden jedoch vollkommen selbst entscheiden, wann, auf welchem Gerät und in welchem Kontext sie die Kurse besuchen.
Diese Kombination aus Synchronizität und Asynchronizität stellt einen entscheidenden Erfolgsfaktor für die MOOCs dar. In der Tat sind die Dropout-Raten von
Kursen, so wie sie auf openHPI angeboten und gestaltet werden, vergleichsweise niedrig und bewegen sich um die 50 %. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass auf openHPI
noch eine zusätzliche Belastung entsteht, da die Kurse in aller Regel außerhalb der Arbeitszeit und vollkommen freiwillig besucht werden und in sich ständig wechselnde Lebensumstände integriert werden müssen. Hinzu kommt, dass MOOCs allen Menschen mit Internetzugang erlauben, sich in Themen einzuarbeiten, die sie persönlich interessieren, ohne dass sie notwendigerweise Zertifizierungen oder Prüfungen anstreben. Ebenso ist gut denkbar, dass für manche Lernende nur bestimmte Kursinhalte relevant sind und sie sich deshalb in den ganzen Kurs einschreiben. Es ist also plausibel anzunehmen, dass die
Semi-Synchronizität von Kursen zu gutem Erfolg führt.
Fazit: Lebenslanges Lernen mit MOOCs
MOOCs sind über die letzten Jahre zu einem wesentlichen, vielleicht sogar zu dem wesentlichsten Medium zum lebenslangen Lernen geworden. In virtueller Gemeinschaft digital und interaktiv zu lernen, bietet die unmittelbaren Vorteile der Orts-unabhängigkeit und der eigenen freien Zeiteinteilung. Wobei Letzteres die gute Vereinbarkeit des MOOC-basierten lebenslangen Lernens mit Beruf und Familie ermöglicht. Die Beliebtheit dieses Weiterbildungsformats belegt auch die Zahl der Teilnehmenden. Weltweit haben sich in den letzten zehn Jahren mit Hilfe von MOOCs Millionen Lernende erfolgreich weitergebildet.
Allein auf der openHPI-Plattform haben sich bisher 1,1 Mio. Lernende zur Teilnahme
an wenigstens einem MOOC im Bereich der digitalen Technologien eingeschrieben. Auch Partner, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und SAP SE nutzen mit jeweils mehr als 6,5 Millionen Lernenden weltweit auf openWHO.org bzw. openSAP.com unsere Plattform. Diese Zahlen sprechen für sich und für den Erfolg dieses Modells. Vielleicht haben auch Sie nun Lust gewonnen, an einem MOOC teilzunehmen? Sie sind bei uns und den anderen MOOC-Anbietern herzlich willkommen!