Nachhaltigkeit spielt in der Softwareentwicklung eine immer wichtigere Rolle. Entscheidungen, die im Requirements Engineering (RE) und im Digital Design (DD) getroffenen werden, haben große Auswirkungen auf die nachhaltige Gestaltung der Software. In diesem Artikel erläutern wir, warum Nachhaltigkeit gerade in diesen Bereichen verankert sein sollte, was am Status Quo verändert werden kann und wie die IREB Special Interest Group on Sustainability (SIGsus) mit Wissen und Know-how unterstützt, um Nachhaltigkeit effektiv zu berücksichtigen.
Was verstehen wir unter Digitaler Nachhaltigkeit?
Im Software-Engineering befassen wir uns insbesondere mit der Digitalen Nachhaltigkeit, die wir als ein Überbegriff für die Nachhaltigkeit von und durch digitale(n) Lösungen betrachten. Dabei unterscheiden wir zwischen Sustainable Software und Sustainable by Software (angelehnt an Green IT[1] bzw. Green by IT).
Im Bereich Sustainable Software (Nachhaltigkeit von Software) geht es um die Nachhaltigkeit von digitalen Lösungen. Neben ökologischen Auswirkungen im Hinblick auf ihren CO2-Fußabdruck umfasst Sustainable Software viel mehr Dimensionen der Nachhaltigkeit: ökonomische, technische, soziale und individuelle Nachhaltigkeit. Dabei geht es auch um unmittelbare Folgen (Effekte), die eine digitale Lösung in Bezug auf diese Dimensionen haben kann. Relevante Fragen sind daher: Wurde eine Folgeabschätzung mithilfe von Prüfmethoden wie Life-Cycle Assessments durchgeführt? Wie ressourceneffizient und -suffizient ist die Software bei der Ausführung ihrer Funktionen, u. a. im Hinblick auf Energiekonsum?[2] Ist die kontinuierliche Wartbarkeit des Systems sichergestellt? Aber auch der Entwicklungsprozess der digitalen Lösung sollte berücksichtigt werden: Wurde der Entwicklungsprozess ressourcenschonend gestaltet, z. B. durch den Einsatz von energieeffizienteren Entwicklungstechnologien oder die Verwendung von Methoden, welche sicherstellen das Entwicklerinnen und Entwickler mit einer konstanten, gesunden Geschwindigkeit arbeiteten (z. B. Sustainable Pace in Scrum)? All diese Fragenstellungen (und mehr) sollten bei der Entwicklung jeder digitalen Lösung berücksichtigt werden.
Das Konzept Sustainable by Software (Nachhaltigkeit durch Software) beschreibt digitale Lösungen, die darauf ausgerichtet sind, positive Auswirkungen (Effekte) auf die Nachhaltigkeit zu erzielen. Es hebt hervor, wie solche digitalen Lösungen Menschen dabei unterstützen können, ihre persönlichen oder professionellen Nachhaltigkeitsziele einfacher und effektiver zu erreichen – und wie sich das positiv auf die nachhaltige Entwicklung auswirkt. Relevante Fragestellungen zu Sustainable by Software sind oft kontextspezifisch und beziehen sie sich auf Szenarien, die auch zu den UN-Nachhaltigkeitszielen beitragen können. Dies beinhaltet Wohlbefinden und Mobilitätslösungen in Smart Cities (SDGs 1–3 und 11), Resilienzsteigerung im Naturschutz (SDGs 13–15) und Smart Farming (SDGs 2 und 12), sowie Fertigungsprozessen in der Smart Production (SDGs 8, 9 und 12).
Digitale Nachhaltigkeit im Software Engineering
Im Software-Engineering gehen die digitale und nachhaltige Transformation Hand in Hand.[3] Bei der Umsetzung der nachhaltigen Transformation stoßen Unternehmen jedoch auf Schwierigkeiten. Entsprechende Entscheidungen und Maßnahmen sind jedoch unerlässlich, da der zukünftige Geschäftserfolg stark davon abhängt. Das zeigt sich in einem Trend zu steigenden Anforderungen, strengeren Vorgaben und höheren Erwartungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit.[4] Dies gilt auch für die Umsetzung der Digitalen Nachhaltigkeit in der Softwareentwicklung. Doch wer stellt im Entwicklungsprozess sicher, dass dies optimal umgesetzt wird? Je später das Thema Nachhaltigkeit in ein Projekt einfließt, desto schwieriger wird es, dieses adäquat zu integrieren. Ebenso erfordert dies die Zusammenarbeit der verschiedenen Rollen im Software Engineering.
Es ist daher wichtig, Entscheidungen zur Nachhaltigkeit früh in der Entwicklung zu treffen, damit sie tief im Systementwurf und der Umsetzung verankert werden können – genau dann, wenn im RE die Anforderungen spezifiziert und DD die Lösungen gestaltet werden. In der Praxis haben diejenigen, die RE und DD betreiben, somit eine große Verantwortung, das Thema Nachhaltigkeit zu berücksichtigen und voranzutreiben. Sie verfügen über die notwendige Expertise und den Zugang zu Schlüsselpersonen, um Trade-offs mit dem Kunden abzustimmen und Anforderungen mit anderen Stakeholdern zu sammeln und zu validieren.[5] Nur so können fundierte Entscheidungen getroffen, festgelegt und im Prozess explizit berücksichtigt werden.Für viele Personen im RE und DD ist die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in ihren täglichen Arbeitsabläufen jedoch eine Herausforderung. Einerseits aufgrund mangelnden Bewusstseins – andererseits wegen fehlender Unterstützung oder Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in heutigen Methoden und Praktiken. Daher möchten wir drei bekannte und erprobte Ansätze vorstellen: das Karlskrona-Manifest, das Digital-Design-Manifest und das Sustainability Awareness Framework.
Ansätze zur Förderung von Digitaler Nachhaltigkeit
Um die zentrale Rolle des nachhaltigen Designs zu festigen, verfasste die RE-Community das Karlskrona-Manifest.[6] Es betont, dass diejenigen, die im RE und DD tätigen sind, ein Bewusstsein für die Auswirkungen von Systemen haben und sie die Verantwortung für das nachhaltige Design digitaler Lösungen tragen. Es unterscheidet zwischen fünf Dimensionen der Nachhaltigkeit: ökologische, ökonomische, technische, soziale und individuelle Nachhaltigkeit.
Wir sehen, dass das RE bzw. DD im Hinblick auf alle Nachhaltigkeitsdimensionen wichtige Aufgaben zu erfüllen hat. Auf Projektebene zunächst die ökonomische Nachhaltigkeit, zum einen durch die Berücksichtigung langfristiger Unternehmensziele einschließlich der Auswirkungen auf die Umwelt (ökologische Nachhaltigkeit), zum anderen durch das Explizit machen nachhaltiger Randbedingungen, die ein Unternehmen häufig aus strategischen Gründen an die Software stellt. Die technische Nachhaltigkeit wird durch wartbare, anpassungsfähige und langlebige Softwaresysteme sichergestellt, die den Anforderungen an Funktionalität und Qualität gerecht werden. Schließlich geht es bei der sozialen und individuellen Nachhaltigkeit darum, Werte und Ziele der Stakeholder zu integrieren, indem benutzerfreundliche, faire und gesellschaftlich verträgliche Lösungen entwickelt werden.
Im Zentrum des Digital Design Manifests[7] stehen zehn Leitprinzipien, die die Schaffung wirkungsvoller Lösungen für eine bessere digitale Welt lenken. Hier kann zwischen Sustainable Digital Solutions und Sustainable by Digital Solutions unterschieden werden. Drei der Leitprinzipien verdeutlichen, dass Nachhaltigkeit einen besonderen Stellenwert hat:
- Gutes Digital Design antizipiert die Auswirkungen seiner Ergebnisse auf Benutzer, Gesellschaft und Umwelt – sowohl unmittelbar als auch langfristig – um unbeabsichtigte Konsequenzen zu vermeiden und eine nachhaltige Zukunft zu sichern.
- Gutes Digital Design ist nachhaltig und schafft Nachhaltigkeit, indem es einen verantwortungsvollen Ressourcenverbrauch unterstützt, Abfall reduziert und grünere Alternativen ermöglicht. Mit Nachhaltigkeit gestaltete digitale Werkzeuge werden zu Katalysatoren für systemische Veränderungen.
- Gutes Digital Design nutzt digitale Mittel nur dort, wo sie notwendig sind, schätzt die Balance zwischen analog und digital und stellt sicher, dass Technologie einem Zweck dient, ohne unnötige Komplexität oder Ressourcenverbrauch zu verursachen.
Das Sustainability Awareness Framework (SusAF) bietet eine praxisnahe Methode, um Nachhaltigkeit in der Systementwicklung von Anfang an zu berücksichtigen.[8] Es ermöglicht potenzielle Effekte eines Systems anhand von Anforderungen zu erkennen und zu adressieren. Ein zentrales Merkmal von SusAF ist die Betrachtung aller fünf Nachhaltigkeitsdimensionen des Karlskrona-Manifests, so dass ein Projektteam die Auswirkungen eines Systems auf Ressourcen, Gesellschaft, Wirtschaft und Nutzerinnen und Nutzer abschätzen kann. So können neben den oben genannten Aspekten u. a. auch soziale und individuelle Effekte – etwa Barrierefreiheit und Nutzerzufriedenheit – frühzeitig berücksichtigt werden. Damit lassen sich schon bei der Formulierung von Anforderungen potenzielle negative Auswirkungen identifizieren und durch gezielte Anpassungen vermeiden. Gleichzeitig unterstützt SusAF dabei, positive Nachhaltigkeitseffekte bewusst zu fördern.
Die iterative Reflexion in Bezug auf mögliche Auswirkungen des Systems hilft Projektteams dabei, Nachhaltigkeit kontinuierlich in den Fokus zu rücken und während des gesamten Entwicklungsprozesses das Design entsprechend anzupassen. Besonders wertvoll ist SusAF in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Stakeholdern: Es hilft, unterschiedliche Perspektiven einzubinden, Nachhaltigkeitsaspekte transparent zu kommunizieren, die Akzeptanz zu steigern und den langfristigen positiven Einfluss von Lösungen sicherzustellen. Dieses Vorgehen fördert eine nachhaltige Denkweise und ebnet den Weg für die verantwortungsvolle Erstellung nachhaltiger digitaler Lösungen.
Wenn Sie im Requirements Engineering oder Digital Design tätig sind, tragen Sie eine wichtige Verantwortung, aber auch die Chance, durch Ihre Arbeit positive Veränderungen zu bewirken. Unterstützung können Sie dafür z.B. beim IREB erhalten. Dort wird die Entwicklung nachhaltiger digitaler Lösungen, wie Green Digital Design, gefördert. Auch die Special Interest Group on Sustainability (SIGsus) bietet Orientierung und praxisnahe Unterstützung für nachhaltige Systemgestaltung. Bei Interesse an dieser Gruppe wenden Sie sich gern an sig@ireb.org.
Förderhinweis
Teil dieser Arbeit wurde durch das EURIDICE-Projekt im Digital Europe Programme (EU, Fördervertrag Nr. 101123121) gefördert.
Referenzen
- Heng et al. (2011). „Green IT: More than a Passing Fad!“
- Siehe dazu den Bitkom-Leitfaden „Ressourceneffiziente Programmierung“ (2021).
- Dies wurde erstmalig von Accenture als die Twin-Transformation bezeichnet; siehe dazu Ollagnier et al. (2021), „The European double up: A twin strategy that will strengthen competitiveness.“
- McKinsey (2022), „Playing offense to create value in the net-zero transition project results“.
- Siehe dazu Band 2 des Bitkom-Leitfadens „Ressourceneffizienz im Software Lifecycle“ (2024) mit hilfreichen Leitfragen für das Digital Design.
- https://sustainabilitydesign.org/karlskrona-manifesto/
- Bitkom (2022). „Digital-Design-Manifest: Eine selbstbewusste Gestaltungsprofession ist der Schlüssel für eine erfolgreiche und nachhaltige Digitalisierung“.
- Das SusAF wird seit über einem Jahrzehnt von der Karlskrona Alliance entwickelt und hat sich in der RE-Community etabliert. Siehe Duboc et al. (2020), „Requirements engineering for sustainability: an awareness framework for designing software systems for a better tomorrow“.
Über Eduard C. Groen und Prof. Dr. Norbert Seyff:
Eduard C. Groen ist seit 2014 Senior Requirements Engineer & Projektleiter am Fraunhofer IESE und koordiniert die Digitale Nachhaltigkeit. Seine Arbeit in Industrie und Forschung fokussiert sich auf das Digital Design komplexer Systeme (z. B. digitale Ökosysteme), insbesondere zur Bewältigung der Herausforderungen der Nachhaltigkeit. Er studierte Psychologie an der Universität Twente und wird 2025 in der Informatik an der Universität Utrecht zum Thema „Crowd-Based Requirements Engineering“ promovieren. Bei IREB leitet er die SIGsus.
Prof. Dr. Norbert Seyff ist Professor für Requirements Engineering an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und Mitglied des IREB Councils. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Methoden und Techniken, die die Gestaltung nachhaltiger und benutzerfreundlicher Softwarelösungen ermöglichen. Als Mitwirkender am IREB Digital Design Professional (DDP) und Mitglied der Karlskrona Alliance und der SIGsus setzt er sich dafür ein, Nachhaltigkeit und innovatives digitales Design als zentrale Elemente moderner Softwareentwicklung zu etablieren.